- Wirtschaft und Statistik
- Presse & Medien
Erste M+E-Konjunkturumfrage 2021 im Norden: Vor Mitte 2022 nicht wieder auf Vor-Coronakrisen-Niveau
Arbeitsplätze im Schiff- und Flugzeugbau bedroht.
Von Mitte bis Ende Januar haben NORDMETALL, der AGV NORD sowie die Arbeitgeberverbände Oldenburg und Ostfriesland ihre Mitgliedsunternehmen zum ersten Mal in 2021 und zum fünften Mal seit Beginn der Corona-Krise nach ihrer Geschäftslage und den Aussichten befragt. „Die Krisen-Talsohle seit dem betrieblichen Lockdown im Frühjahr 2020 ist längst noch nicht durchschritten, unsere Unternehmen rechnen in der Breite nicht vor Mitte 2022 mit der Rückkehr zum Vorkrisenniveau“, bilanziert NORDMETALL-Präsident Folkmar Ukena die Lage in der norddeutschen Metall- und Elektroindustrie. „Besonders im Schiff- und Flugzeugbau droht angesichts weggebrochener Aufträge ein spürbarer Arbeitsplatzverlust, auch die Autohersteller und -Zulieferer stehen weiter unter schwerem Druck.“
Noch helfe Kurzarbeit nahezu jedem zweiten M+E-Betrieb, Arbeitsplätze zu halten – und werde noch mindestens bis zum Herbst 2021 als Beschäftigungsbrücke benötigt, so Ukena. Infolge des neuerlichen Lockdowns hält sich die durchschnittliche Zahl der Mitarbeiter in Kurzarbeit bei 42 Prozent. Gleichwohl sieht sich im Schnitt jedes fünfte Unternehmen gezwungen, die Zahl seiner Mitarbeiter zu verringern. Rund 4.000 Arbeitsplätze sind in den kommenden Monaten konkret bedroht. „Schon jetzt sind die hohen Arbeitskosten für drei von vier Mitgliedsfirmen der größte Standortnachteil im internationalen Wettbewerb. Wenn die Tarifparteien einen weiteren Abbau von Arbeitsplätzen in Norddeutschland verhindern wollen, dürfen sie den Betrieben keine zusätzlichen Kosten aufbürden, sondern müssen ihnen mehr Flexibilität im Personaleinsatz und in der Arbeitszeitgestaltung ermöglichen“, folgert der NORDMETALL-Präsident mit Blick auf die dritte Runde der Tarifverhandlungen für die norddeutsche M+E-Industrie, die an diesem Montag in Bremen stattfindet.
Im Einzelnen ist die Kapazitätsauslastung der Betriebe seit dem September nur leicht um knapp drei auf 78,6 Prozent gestiegen. Sie liegt damit aber noch sechs Prozent unter dem Vor-Coronakrisen-Niveau und sogar rund elf Prozent unter den Werten, die vor dem Beginn der Rezession im Frühjahr 2019 erreicht wurden. Immer noch 38 Prozent der Unternehmen bezeichnen ihre Geschäftslage als unbefriedigend oder schlecht, acht Prozent weniger als im Oktober. Mit Abstand am härtesten trifft es den Schiffbau, dessen Betriebe die Geschäftslage nun zu 69 Prozent als unbefriedigend oder schlecht bezeichnen (Oktober: 50 Prozent), gefolgt von den Herstellern von Metallerzeugnissen (54 Prozent) und dem Luft- und Raumfahrzeugbau (50 Prozent).
Auftragsmangel beklagen 44 Prozent aller Unternehmen, vier weniger als im Oktober, aber 20 mehr als vor der Krise im Frühjahr 2019. Mittlere bis sehr starke Produktionseinschränkungen erleiden 55 Prozent aller Betriebe im Norden, mit einem Spitzenwert von 68 Prozent in Niedersachen. 41 Prozent aller Firmen sehen sich nicht in der Lage vorherzusagen, wann die Produktion wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht, 39 Prozent erwarten dies im Laufe des Jahres, 20 erst im nächsten Jahr. Am pessimistischsten sind auch hier die niedersächsischen Unternehmen.
Weitere Umsatzrückgänge nach dem Einbruch im vergangenen Jahr befürchten 27 Prozent der Betriebe, 41 gehen hier von Stabilität aus, nur 32 erwarten wieder Umsatzsteigerungen. Im Schnitt sinken die Erlöse um 19 Prozent mit dem größten Einbruch im Schiffbau (32 Prozent).
42 Prozent der norddeutschen M+E-Betriebe nutzen weiter Kurzarbeit, fünf Prozent weniger als im Oktober, aber sieben Prozent mehr als zum Beginn der Corona-Krise im April 2020. Spitzenreiter sind hier der Straßenfahrzeugbau (71 Prozent), gefolgt von Luft- und Raumfahrzeugbau (67 Prozent) und dem Schiffbau (58 Prozent). Durchschnittlich werden in diesen Unternehmen noch weitere acht Monate mit Kurzarbeit erwartet, was in der Summe eineinhalb Jahre mit diesem Instrument ausmachen würde.
21 Prozent aller Firmen im Norden wollen in den nächsten drei Monaten ihre Mitarbeiterzahl verringern, in Niedersachsen sogar 35 Prozent, in Schleswig-Holstein 25 Prozent, 20 in Bremen, 17 in Mecklenburg-Vorpommern, in Hamburg nur neun Prozent. Insgesamt sind mindestens 4000 Arbeitsplätze in den nächsten Monaten bedroht, mit Schwerpunkt im Schiffbau und der Luftfahrtindustrie in Niedersachen und Mecklenburg-Vorpommern. Nur 13 Prozent aller Unternehmen planen Neueinstellungen bis zum Frühjahr, 21 Prozent im Laufe des Jahres, mit Schwerpunkt im Bereich der industrienahen Dienstleitungen. 34 Prozent der Betriebe wollen ihre Investitionen im Vergleich zum Vorjahr zurückfahren, 42 Prozent stabil halten und nur 24 Prozent erhöhen.
76 Prozent aller Firmen beklagen weiterhin die hohen Arbeitskosten als den schädlichsten Wirtschaftsfaktor in Deutschland. Nur noch 51 Prozent betrachten nach dem Wechsel im US-Präsidentenamt und dem vollzogenen Brexit die internationale Politik als belastend.
Die deutsche Politik ist gleichwohl Stein des Anstoßes, erklärt der Vorstandsvorsitzende des AGV NORD, Julian Bonato: „Die Bundesregierung muss in dieser schweren Krise aufhören, uns mit überflüssiger Homeoffice-Pflicht, einer teuren EU-Mindestlohninitiative oder einem unverhältnismäßigen Lieferkettengesetz weiter zu belasten. Nötig wären vielmehr praktikable Reise- und Quarantäne-Regelungen für Firmenmitarbeiter, damit auch in Corona-Zeiten Akquise und Montage stattfinden können.“
174 Unternehmen mit rund 94.000 Beschäftigen aus den vier Verbänden nahmen an der Befragung in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und dem nordwestlichen Niedersachsen teil.