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Standpunkte-Podcast Nr. 2: Tarifrunde
Die gerade startende Tarifrunde steht im Zentrum des neuen Podcasts des Hauptgeschäftsführers der norddeutschen Metall- und Elektroarbeitgeber, Dr. Nico Fickinger.
Sie können unseren neuen Standpunkte-Podcast zur Tarifrunde oben ansehen, hier als MP3 anhören oder hier bei
anhören.
Dem Podcast zur Tarifrunde 2021-2022 liegt folgendes Manuskript zugrunde, es gilt das gesprochene Wort.:
Alexander Luckow: Heute überreicht die Gewerkschaft NORDMETALL Ihre Forderungen, Mitte Dezember beginnt die allererste Verhandlungsrunde zwischen der IG Metall und den Metall- und Elektroarbeitgebern im Norden. Die Abläufe einer Tarifrunde scheinen traditionell sehr festgelegt zu sein.
Dr. Nico Fickinger: Nun ja, manches wird sich wohl nie ändern. Aber das ist auch völlig in Ordnung so. Unsere beiden Organisationen – NORDMETALL auf der einen und die IG Metall Küste auf der anderen Seite – sind Verbände, in denen man freiwillig Mitglied wird - und aus denen man auch wieder austreten kann, wenn einem die Linie nicht passt.
Schon allein deshalb können wir nicht in Hinterzimmern verhandeln oder am Grünen Tisch par ordre de mufti entscheiden, sondern beide Seiten müssen – und wollen! – transparent agieren und ihre Mitglieder mitnehmen. Auch in den eigenen Reihen muss jede Seite für ihre Positionen werben, damit der gefundene Kompromiss am Ende akzeptiert wird. Dafür braucht man bis zu einem gewissen Grad eben auch das Spiel „über Bande“ mit der Öffentlichkeit – die Gewerkschaft, um mit Fahnen und Trillerpfeifen auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, wir Arbeitgeber, um uns mit unseren wirtschaftlichen Argumenten Gehör zu verschaffen.
Alexander Luckow: In diesem Jahr ändert Corona alles, auch die Tarifverhandlungen?
Dr. Nico Fickinger: Bisher lief tatsächlich vieles anders. Schon im März haben wir eine rein virtuelle Übernahmeverhandlung des Pilotabschlusses gemacht. Eine zehnstündige Videokonferenz mit ständigen Unterbrechungen, um sich immer wieder per SMS oder Handy mit den eigenen Reihen abzustimmen, das hat doch sehr an den Kräften und den Nerven gezehrt.
Dafür gab es aber einen schnellen, friedlichen Abschluss ohne vorherige Warnstreiks – auch das eher untyptisch.
Wir haben hier im Norden daraus unsere Schlüsse gezogen und sind schon sehr bald wieder in Gespräche mit der IG Metall eingetreten, haben uns gemeinsam in eine Zukunftswerkstatt begeben. Denn wir haben gelernt, dass man sehr viel besser (und weiter) vorankommt, wenn man der anderen Seite erst einmal zuhört und versucht, ihre Bedürfnisse und ihre Motivationslage zu verstehen.
Insgesamt registriere ich auf beiden Seiten eine große Ernsthaftigkeit und einen Willen, angesichts des wirtschaftlichen Einbruchs nicht in Fatalismus zu verfallen, sondern gerade deshalb die Krise und den Strukturwandel aktiv zu gestalten.
Ich denke, beides - die Ernsthaftigkeit und der Gestaltungswille - ist der schwierigen Lage angemessen.
Alexander Luckow: Die Gewerkschaftsforderung von vier Prozent klingt nun allerdings nicht nach irgendeiner Rücksichtnahme auf die Krisenlage, in der sich besonders Schiffbau, Luftfahrtindustrie und in Teilen auch die Autobranche befinden.
Dr. Nico Fickinger: Wir waren in der Tat konsterniert, dass die IG Metall ihre Forderung zuletzt sogar noch verschärft hat: 4% mehr Geld für eine Branche, die so stark wie kaum eine andere vom Konjunktureinbruch und dem Strukturwandel betroffen ist, in der eine Million Menschen in Kurzarbeit sind und viele Betriebe ums Überleben kämpfen – für so eine Forderung fehlt mir jedes Verständnis.
Alexander Luckow: Die Gewerkschaft begründet ihre Forderung unter anderem mit der Ziel-Inflationsrate der EZB, der Trendproduktivität und der Notwendigkeit, Kaufkraft und Binnennachfrage zu stärken.
Dr. Nico Fickinger: Das kann man bald nur noch mit Zynismus quittieren. Ich fürchte, selbst wenn die Welt unterginge und in Deutschland keine Autos, Schiffe und Flugzeuge mehr gebaut würden, würde die IG Metall-Zentrale immer noch an diesen Parametern festhalten.
Das trägt schon Züge von Fake News. In Wahrheit ist die Produktivität drastisch gesunken, die Inflation weitgehend stabil, zuletzt sogar gesunken, und was die Kaufkraft angeht, so schätzen die Wirtschaftsforschungsinstitute, das die privaten Haushalte derzeit 150 Mrd. Euro horten – Geld, das sie sofort ausgeben werden, wenn die Ängste vor Corona-Infektion und Jobverlust überwunden sind.
Es mangelt nicht an Kaufkraft, aber an Zuversicht in die weitere wirtschaftliche Entwicklung. Selbst die IGM konstatiert diese Verängstigung in den eigenen Reihen. Doch statt darauf Rücksicht zu nehmen, trägt sie mit ihrer 4-Prozent-Forderung tatkräftig dazu bei, dass mehr Arbeits- und Ausbildungsplätze als nötig bedroht werden.
Alexander Luckow: Gibt es denn Licht am Ende des Tunnels? Wann können die Beschäftigten denn überhaupt wieder mit einer Entgelterhöhung rechnen?
Dr. Nico Fickinger: Verteilt werden kann erst dann wieder etwas, wenn unsere Branche das Vorkrisenniveau wieder erreicht hat. Auf den Tag genau vorhersagen kann das natürlich niemand. Aber nach unseren Umfragen dürfte das in den meisten Wirtschaftszweigen vor 2023 kaum der Fall sein, in einzelnen Branchen wie den Werften oder den Flugzeugbauern vielleicht sogar erst 2025.
Alexander Luckow: Das klingt wenig erfreulich.
Dr. Nico Fickinger: Das klingt schlimmer als es ist. Denn zum einen haben wir in der M+E-Industrie ein überdurchschnittlich hohes Lohnniveau, mit einem Jahresbrutto im Schnitt von rund 60.000 Euro. Auch wenn man da mal für ein, zwei Jahre auf der Stelle tritt, liegt man immer noch über dem, was in vielen anderen Branchen verdient wird.
Alexander Luckow: Immerhin aber will auch die Gewerkschaft Bausteine aus dem Ergebnis der Runde nutzen, um Arbeitsplatz- und Zukunftssicherung finanzieren.
Dr. Nico Fickinger: Das ist vernünftig, und darüber werden wir sehr ausführlich sprechen. Nur muss klar sein, dass man Arbeitsplätze nicht dadurch sicherer macht, dass man sie verteuert. Deshalb lehnen wir auch eine Vier-Tage-Woche mit Teilentgeltausgleich ab. Als freiwillige betriebliche Option kann es dagegen sinnvoll sein, überall dort, wo es auf absehbare Zeit deutlich weniger Arbeit gibt, diese Arbeit auf vier Tage zu konzentrieren.
Alexander Luckow: Wie darf mit sich konkret die Elemente der Arbeitsplatz- und Zukunftssicherung vorstellen?
Dr. Nico Fickinger: Arbeitsplätze sichert man in Krisenzeiten am besten dadurch, dass man sie nicht teurer, sondern beweglicher macht. Wir brauchen mehr Spielräume im Personaleinsatz, bei der Arbeitszeitverteilung. Und beim Entgelt darf es keine pauschale Lohnanpassung für alle geben. Wir müssen vielmehr ein Instrument finden, dass die ganze Breite der Branche abbildet.
Unsere Verhandlungsaufgabe ist es, für diejenigen Betriebe, die durchschnittlich oder sogar gut dastehen, eine verkraftbare Beteiligung der Mitarbeiter am Erfolg zu ermöglichen, und umgekehrt diejenigen Betriebe, die mit Auftragsmangel und Umsatzeinbrüchen kämpfen, von neuen Lasten zu verschonen und ihnen stattdessen einige Erleichterungen zu verschaffen, damit sie sich schneller wieder aus der Krise hocharbeiten können.
Alexander Luckow: Vielen Dank für das Gespräch!